Religion des halben Weges

Manche Dinge begegnen uns ja – rein historisch gesehen – mehr als einmal. So gab es eine Zeit in der amerikanischen Kirchengeschichte, die so unwahrscheinlich viel Ähnlichkeiten mit dem hat, was wir heute in unserer eigenen Kirchenlandschaft sehen: Leere Bänke, leere Kassen, abnehmendes Interesse an geistlichen Themen und ratlose Gesichter. – Wir schreiben ungefähr das Jahr 1720, als ein Pfarrer namens Stoddard nicht etwa aus theologischen Gründen, sondern in der Hoffnung nicht noch mehr Gottesdienstbesucher zu verlieren den Stand der „Christen des halben Weges“ einführte. Zu dieser Gattung zählten all diejenigen Menschen, die sich religiös interessiert gaben, die ein einigermaßen ordentliches Leben führten und die Interesse daran zeigten, dass die eigenen Kinder getauft würden.

Der einzelne selbst sollte jedoch nicht der Forderung nachkommen ganze Sache mit dem christlichen Glauben zu machen, was in diesen Tagen verbindlich hieß, dass man sich öffentlich für einen ganzen Weg unter der Leitung Jesu Christi entscheiden musste - andernfalls wurde man nicht als Christ betrachtet. Ausdruck fand dies darin, dass die Kinder dieser Halbwegschristen zwar getauft, die Eltern jedoch nicht am Abendmahl teilnehmen durften. – Obschon es viele Nachahmer gab – wurde diese Vorgehensweise später wieder zurückgenommen – raten Sie mal warum?

Lassen Sie uns hier ein Moment über die Wortwahl an sich nachdenken. Der Erfinder dieses Glaubensstandes – der übrigens sehr schnell wuchs, also ganz offensichtlich eine echte Marktlücke darstellte – nannte seine Neuschöpfung „Halfway Christians“ und wollte damit Menschen beschreiben, die bereits den halben Weg zum christlichen Glauben hinter sich hatten. – Die eingedeutschte Form dieses Ausdrucks ist „Christen des halben Weges“, also „Halbwegs- Christen“. Sind dies nicht im Sinne des Wortes Menschen, die der christlichen Botschaft gegenüber interessiert sind, aber die sich eher in der Rolle einer passiven Glaubensmitgliedschaft sehen möchten.

handwarmer Glaube

Nach der zuvor betrachteten, automobilen Beschreibung sollte hier eines deutlich geworden sein: passive Mitgliedschaft – wenn sie denn überhaupt möglich ist – erzeugt Kosten, liefert bestenfalls ein Statussymbol, aber hat ansonsten keinen Nutzen. Warum sind Sie dann nicht so ehrlich und verzichten auf den Glauben generell, da dieser Ihnen außer bestenfalls ein beruhigendes Gefühl im Bauch nichts bringen wird? Wäre es dann nicht viel ehrlicher und konsequenter zu sagen: „Ich habe zwar auch meine Vorstellungen über all das, was jenseits der Naturwissenschaften liegt, aber ich bin nicht glaubend, weil ich diese, meine theoretische Weltanschauung nicht praktiziere!“ – Das wäre doch folgerichtig und konsequent?! Jeder könnte dann akzeptieren, dass Sie interessante Gedanken, Ideen und Überlegungen über eine jenseitige Welt und deren Geschöpfe haben – man kann darüber beim Bier diskutieren, so wie man über große Fußballstars diskutiert. Aber man lässt die Finger davon selbst das Ganze auszuprobieren! – Bin ich Ihnen jetzt zu direkt? Habe ich Sie zu sehr mit diesem Vorschlag provoziert – oder ist es einfach nur konsequent? – Bitte, nehmen Sie sich jetzt nicht vor – wenn Sie sich denn zum christlichen Lager zählen – auch mal wieder am nächsten Sonntag in die Kirche zu gehen! Das löst das Problem nicht und ist nicht der Punkt den ich machen möchte! – Vielmehr geht es darum das Problem an der Wurzel zu packen!

Aber zurück zu meinem radikalen Vorschlag, bei dem Sie möglicherweise so heftig innerlich rebellierten. – Würden wir uns jetzt gegenübersitzen, so würden Sie mir möglicherweise sagen: Nein, ich weiß da ist ein Gott, ich hab das irgendwie erlebt – Sie können mir doch nicht einfach meinen Glauben absprechen! – Noch einmal: ich will und werde Ihnen nicht Ihren Glauben absprechen, sondern möchte nur herausbekommen, was Sie damit meinen.

Nehmen wir nun diese historisch verbriefte Situation und übertragen sie in unsere spirituelle Gegenwart. Haben wir nicht auch - vielleicht sogar in sehr großen Teilen der gegenwärtigen Kirchenlandschaft - Halbchristen Kongregationen entstehen lassen, weil man es für unangemessen hielt, Menschen zu einer klaren Entscheidung für oder gegen einen eindeutigen Weg aufzufordern? Könnte sich hier möglicherweise ein Kreis der Erkenntnis schließen, wie es in Kapitel xxx bereits plakatiert wurde? – Auf einmal ist es sinnvoll – und auch logisch nachvollziehbar, warum Ritus auf der einen Seite und Erkenntnis der Betroffenen auf der anderen Seite eher den Charakter eines Traditionsvereins abgeben. – Gesetzt den Fall diese Überlegung träfe zu, dann wäre als nächstes zu fragen, ob die darin Beteiligten dies überhaupt wahrnehmen könnten oder wollten. – Immerhin würde es für die so Ausgebildeten vieles ihrer erlernten Methoden und Ansichten in Frage stellen, da genau diese ja abgestimmt sind auf die Versorgung von „Halbblut Christen“