Unsere Zeit: ich baue mir einen individuellen Gott

Viele Menschen sagen, dass sie eine persönliche Gottesbeziehung haben und sich dabei zu der Gruppe progressiver Personen zählen, die in dem Bewusstsein leben, dass letztendlich alle Weltreligionen demselben Gott huldigen. Klingt so weit erst einmal plausibel! So viele Großreligionen, seien es nun die Moslems, Hindus oder Christen haben die Vorstellung von einem - nun sagen wir Hauptgott! Warum also das Leben kompliziert machen wenn es auch einfacher geht? Vielleicht ist ja nur die eigene kulturelle Entwicklung daran schuld, dass es so unterschiedliche Religionsformen gibt und Lessing mit seinem weisen Nathan hatte schon damals Recht!

Gerade in Hinblick auf die diversen Kriege, die mit den verschiedenen Religionen in Verbindung gebracht werden, wäre es doch optimal, wenn es sich zeigen würde, dass alle Gottessuchenden Menschen letztlich nach derselben himmlischen Persönlichkeit Ausschau halten? Ja wäre es nicht genial und würde es nicht die Erde so viel regierbarer machen, wenn alle gemäßigten Großreligionen zu einem gemeinsamen Gottesverständnis finden würden? Diese Sichtweise ist überhaupt nicht abwegig, wird sie doch tatsächlich von manchen UNO-Vertretern, sowie sehr renommierten Globalisierern vertreten, die in der Vielfalt der Religionen, insbesondere in deren glaubensstrengeren Flügeln, die Ursachen für viel Mord und Todschlag ausgemacht haben. – Nehmen wir einmal an, dass diese Gedanken berechtigt seien, was müssten dann die Merkmale eines solchen Universalgottes sein?

Bauanleitung für einen Universalgott

Was also ist nun mit den verschiedenen Göttern der diversen Großreligionen? Einmal angenommen, dass alle denselben Gott betrachten würden und man eben nur aus unterschiedlichen Perspektiven auf ihn blickt. Wie müsste dieser Gott beschaffen sein, damit er entsprechend den verschiedenen religiösen Ansichten, von diesen geachtet werden könnte.

Zunächst wäre es doch höchst sinnvoll ein Gremium damit zu beauftragen einen Gott zu definieren, der allen Großreligionen gerecht wird und ausreichend Spielräume für individuelle Ausprägungen lässt. – Immerhin, die Politik und ebenso die Wirtschaft verfügen über reichliche Erfahrungen darin, wie man – selbst wenn der Prozess lange dauert – Dinge normieren und zusammenführen kann, sodass in vielen Fällen eine gemeinsam getragene Definition möglich wird. Vermutlich die erste große Hürde in einem solchen demokratischen Designprozess wäre die Klärung der Teilnahmeberechtigungen, sowie der Parität dieses Gremiums. Wie stark zählen die Stimmen der beteiligten Religionsgemeinschaften? Wann darf eine religiöse Gruppe sich an diesem Ausschuss beteiligen und wann nicht? Wie wird man den liberalen bzw. glaubensstrengeren Fraktionen innerhalb der beteiligten Religionsgruppen gerecht? Zählt die Mitgliedschaft, die erwirkten sozialen Leistungen, das Engagement der Mitglieder – oder gibt es dahinter ein ganz anderes Machtpoker?

Auf den ersten Blick klingt es so vernünftig all diese Dinge genau auszuhandeln, sind doch die Konsequenzen hinreichend bekannt die sich einstellen, wenn dem nicht Rechnung getragen wird! – Überdies baut sich aber bereits eine zweite Hürde im Hintergrund auf: Ein solch demokratisches Gremium braucht einen Vorsitzenden. Nach welchen Regeln wird dieser wohl eingesetzt? Könnte es vielleicht nach dem Rotationsprinzip stattfinden und zur Folge haben, dass auf einmal – zumindest für eine gewisse Zeit –ein Hindu oberstes geistliches Haupt aller Christen ist und es sich in der Zeit seiner Präsidentschaft zum Anliegen macht, den anderen Glaubensgemeinschaften – natürlich in moderater Form – den Opferkult der Kali näher zu bringen? Oder wie wäre es, wenn auf einmal der Papst zum geistlichen Haupt aller an einer solchen Veranstaltung beteiligten Freikirchen werden würde? – Vermutlich würden die einen solch einem Gedanken sehr positiv gegenüberstehen, während andere hier Magenkrämpfe bekämen. Nun, ganz offensichtlich läuft man hier, allein schon aufgrund der Logistik einer solchen Aktion, in mächtige Probleme.

Aber zurück zur Frage nach einem „vereinigten Gottes“ – einem Gott also, der von allen Gläubigen dieser Erde – zumindest aber denjenigen, die nicht als Fundamentalisten gelten oder gelten wollen, sowie deren Leitungsgremien – akzeptiert werden könnte? Wie müsste ein solcher Gott beschaffen sein? Diese Aufgabe wäre weit größer als diejenige, die man – damals nur für das christliche Abendland – auf den vielfältigen Konzilien im Hinblick auf Lehrmeinungen und oder Autoritätsfragen zu klären suchte.

Gremienarbeit

Nun, der Gott eines solchen Gremiums müsste höchst wahrscheinlich über ein paar wesentliche Eigenschaften verfügen: Er dürfte für die Gläubigen weder zu nahe stehend noch zu persönlich sein – da beides Kontrollverlust zur Folge hätte. Vielmehr müsste er ein höheres, ein herausragend, beeindruckendes Wesen sein, um den nötigen Respekt seiner Nachfolger zu erlangen. Das aber wiederum hieße im Umkehrschluss, dass die Distanz zwischen einem solchen Gott und dem einzelnen Gläubigen riesengroß wäre! Des Weiteren müsste die Autorität eines solchen Gottes sehr eingeschränkt sein, da andernfalls diejenigen Parteien, denen zuviel Machteinfluss Gottes nicht recht wäre – vielleicht weil sie zu liberal sind – schon längst den Verhandlungstisch verlassen hätten. Kurz: Am Ende würde man sich wohl auf eine Art präsidiales, verehrungswürdiges Wesen einigen, dass von all denjenigen gehuldigt werden darf, die es wollen oder brauchen.

Machtpoker

Die eigentliche Macht würde von den einflussreicheren bzw. ehrgeizigeren Mitgliedern der „Bodenmannschaft“ ausgeübt. Um die festgelegten Riten, aber auch Regeln umzusetzen, wäre eine Art „Priesterschaft“ zu organisieren, die wiederum mit den notwendigen Rechten ausgestattet sein müßte, um die festgelegten Glaubenssichten durchzusetzen. Ihr obläge es dann entsprechend würdige Zeremonien zu definieren und diese auch zu zelebrieren! Eine solche Religion mitsamt ihrem Gott wäre vermutlich für sehr viele Menschen äußerst charmant, wären doch die Regeln, einem solchen Gott nachzufolgen, minimal und butterweich. Oder in aller Konsequenz eine All-In One Verpackung: Solange ich die festgelegten Riten und frommen Formen einhalte, kann der Einzelne letztlich machen was er will und dieses himmlische Wesen wird es abnicken. Es ist also eine Art Blankoscheck ohne wirkliche Deckung! Glaube wird damit zu etwas Messbarem: Ich bin ein guter Gläubiger, wenn ich bestimmte Formen wahre oder geistliche Übungen sichtbar für meine Umwelt praktiziere. – Was ich im Inneren dazu tatsächlich denke oder fühle tut dabei nichts zur Sache. – Somit bin ich ein guter Gläubiger, wenn ich nach außen sichtbar eine bestimmte Checkliste in einem definierten Zeitrahmen regelmäßig abarbeite.

Das alles klingt wie Mittelalter auf höchstem Niveau! Was Ihnen als ein hoffungsfroher Weg in die heile Welt ganzheitlichen Religionsfriedens vorgestellt wurde, hat es in der Geschichte bereits mehr als einmal gegeben, wenngleich es sich damals nur auf christliche Religionen beschränkte. 1000 Jahre Mittelalter, die als das „dunkle Zeitalter“ in die Historie eingegangen sind legen Zeugnis davon ab, dass mächtige und sehr einflussreiche kirchliche Organisationen entstanden, die ihre eigenen Überwachungsapparate aufbauten, was in Folge zu sehr viel Blutvergießen führte.

Aber ist das wirklich Glaube? Befriedigt so eine Vorgehensweise den eingangs erwähnten spirituellen Hunger oder entsteht so nur ein politisch korrektes, religiöses Konstrukt? Ehe ich noch einmal zurück auf mögliche Gottesbilder komme, möchte ich diesen merkwürdigen Begriff des „Glaubens“ ein wenig näher betrachten.